Ankommen
Die ersten Stunden zuhause waren wundervoll.
Zum ersten Mal standen wir nicht mehr unter Beobachtung und konnten mit unserem Engel kuscheln, kuscheln und nochmals kuscheln.
Wir musste nicht weg, weg weil wir Hunger hatten, er war bei uns. Endlich ganz bei uns.
Doch dann kam der Abend.
Wir legten ihn in sein Bett.
Er hasste es.
Wir legten ihn die die Wiege.
Er hasste es.
Mitten in der Nacht packten wir den Kinderwagen aus.
Legten ihn rein und stellten ihn zu uns ins Schlafzimmer.
Endlich konnte er schlafen.
Das Leben im Krankenhaus hatte ihn bereits geprägt.
Er war es gewohnt im Wagen oder in einem Mini Gitterbett zu liegen,
Trubel um sich zu haben.
STILLE (aber keine stille im Sinne des Hörens) war er nicht gewohnt.
Es hat lang gedauert bis er sich daran gewöhnt hat.
Die Wiege allerdings hat er gar nicht mehr angenommen. Darin wollte er auch nach dem ankommen Zuhause nicht schlafen.
Das ERSTE Jahr Zuhause
Man kann einleitend schon sagen: in diesem Jahr ist so unendlich viel passiert.
Doch an ein normales Leben Zuhause wie man es sich mit einem kleinen Kind wünscht, war nicht zu denken.
Zuhause angekommen, hieß es den „Alltag“, die „ZEIT“ ,die wir in Tübingen stehen gelassen haben, wieder aufzunehmen. Doch dieser Zeit wieder hinterher zu kommen war schwerer als gedacht.
Mein Mutterschutz war zu Ende und ich hätte direkt wieder mit der Ausbildung weiter machen müssen. Da ich dies aber nicht wollte, direkt vom Krankenzimmer zur Arbeit und Berufsschule, habe ich noch 2 Wochen Urlaub genommen, um ein bisschen anzukommen und den „Alltag“ mit einem pflegebedürftigen Baby zu organisieren.
Aufgaben wie, alle 3 Stunden abpumpen, alle 3 Stunden Sondieren, Trinktraining, Platte rausmachen, säubern und wieder einsetzen. Sonde legen, die er sich am Tag ungefähr fünf Mal rausgerissen hat. Er hatte im Gesicht Neurodermitis bekommen und kratzte sich fast nach jedem Legen der Sonde das Pflaster wieder weg.
Ein kleiner Kreislauf, in dem wir uns Tag für Tag drehten.
Ramils Reich
Sein Therapie / Training / Essensplatz
Ebenso die Suche nach einem passenden Logopäden, der vertraut war mit der Therapietechnik und ganz nebenbei standen natürlich die alltäglichen Probleme, wie Haushalt, Jobsuche, etc. an.
Und das alles mit dem Wissen in 2 Wochen geht die Ausbildung weiter, bis dahin muss alles geregelt sein.
Der Tag kam und ich musste weg.
Mein Freund und meine Mutter waren für Ramil da. In den besten Händen, aber sein Kind mit diesem Kampf alleine zu lassen war schwer. Verdammt schwer. Aber ich wusste zugleich, die Ausbildung ist wichtig für die Zukunft und wir haben davor so viel gekämpft um die Omazeit zu bekommen.
Mit der Zeit spielte aber auch das sich ein wenig ein.
Die Tage gestalteten sich ziemlich ähnlich.
Mein Tag begann meist um 3 Uhr oder 4 Uhr morgens.
Sondieren
Abpumpen
Duschen
Anziehen
Losfahren (45 Minuten Fahrt)
Schule oder Arbeiten
Zwischendrin Abpumpen
Nach Hause fahren (45 Minuten Fahrt)
Kuscheln Kuscheln Kuscheln
Abpumpen
Trinktraining
Plattenwechsel
Sondieren
Spielen, Kuscheln, Spielen
Abpumpen
Haushalt (wobei hier viel meine Mutter noch mit übernommen hat)
Bettbringen
Lernen
Sondieren
Abpumpen
Schlafen
Im Großen und Ganzen beschrieb dies meinen Tagesablauf in der ersten Zeit.
Mein Freund und meine Mutter rannten in der Zeit die ich beim Arbeiten oder in der Schule war von Logopädieterminen zu Arztterminen oder sonstigem.
Zwischendurch mussten wir auch noch für ein paar Tage nach Baiersbronn. Hier bekamen wir eine Art Crashkurs in Sachen Trinktraining und Logopädie. Dies sollte für eine optimale Versorgung zu Hause sein und ihm dabei helfen schneller von der Sonde wegzukommen und die Therapie mit der Platte zu unterstützen. Wir waren nicht nur Eltern, sondern wurden mit jedem weiteren Tag mehr zu einem Arzt und Therapeuten für unseren Engel
Am Wochenende gab es dann eine kleine, kurze Verschnaufpause.
An Weggehen (im Sinne von Ausflüge machen) war mit unserem Engel nicht zu denken.
Aber wir hatten wahnsinnig tolle Freunde, die uns in dieser Zeit so unglaublich den Rücken stärkten.
Sie verzichten auf so viel, obwohl sie es nicht mussten.
Sie kamen uns immer und immer wieder besuchen und gemeinsam mit ihnen unternahmen wir an den Wochenenden immer etwas anderes, ob es grillen war, ein Abend mit Musik, ein Abend mit Wein und Käse. Egal was, aber Hauptsache es war etwas zum Kraft tanken.
Freunde die uns so viel Kraft gegeben haben (unsere TANTEN ;-))
Ein Ausflug
Mit Ramil bedeutete dies meist enorm viel Gepäck.
Daher versuchten wir diese in Grenzen zu halten.
Warum?
Hier ein kurzer Einblick:
Ich erzähle euch von einemTag an dem wir nach Neu-Ulm mussten zur Logo (wir hatten in der Woche zwei mal Logo) und dann noch in einem Babyladen vorbeigehen wollten.
Vorbereitungen von mehreren kleinen Mahlzeiten und Spritzen.
Abpumpzeug und Kühlmittel.
Spucktücher.
Wechselkleidung in mehrfacher Ausführung, da Ramil meist nach dem Sondieren direkt eine Ladung wieder ausspuckte.
Pflaster für die Sonde.
Pflaster für die Platte.
Putzzeug für die Platte für den Fall sie geht raus oder lockert sich.
Monitor.
Abpumpmaschine.
Kinderwagen und das „normale“ Gepäck mit einem Säugling.
Wir sind los.
Nach der Logostunde dann erstmal essen geben.
Ach ja, hierfür hatte ich extra mobile Milchwärmer gekauft, funktionierten wie Handwärmer. Abpumpen auch noch dazwischen.
Danach weiter. Dazwischen Pause zum Umziehen oder Brüllpause.
Im Laden war alles noch soweit ruhig.
Bis auf die BLICKE dir wir immer wieder einfangen durften.
Und dann natürlich: mitten im Laden zog sich Ramil die Sonde.
Was tun? Bis nach Hause wird er es nicht aushalten. Also gut. Eine ruhige Ecke gesucht. Mitten drin. Dem Kind schnell eine Sonde gelegt.
Ihr könnt euch nicht vorstellen, welch Blicke wir in diesem Laden kassieren durften.
Manche mit einem: " Was macht die denn da mit Ihrem Kind", "Gott warum brüllt der Arme denn so" bis hin zu "müssen sie das hier machen". Das ich den Menschen nicht ins Gesicht gesprungen bin war alles.
Wenn ein Kind Hunger hat und es nicht normal essen kann, kann es leider auch keine Stunde warten bis man Zuhause ist um dort die Sonde zu legen.
So ungefähr sah ein kleiner Ausflug mit Ramil aus.
Ausbildungsende
Einige Monate versuchte ich zwischen dem "Alltag" mit einem besonderen Kind, Klinikbesuchen wegen Plattenanpassung und Schlaflabor, die nie lange auf sich warten liesen, lernen, arbeiten und Mutter sein unter einen Hut zu bekommen. Doch nach einiger Zeit musste ich passen. Mein Betrieb wollte mir nicht eine Ausbildungsverkürzung geben um die Ausbildung schnellstmöglich fertig zu machen, sie wollten sie trotz Abitur verlängern und nach vielen Überlegungen und vielen Gesprächen beschlossen wir gemeinsam, das Ausbildungsverhältnis zu beenden. Ich musste mich als Mutter um meinen besonderen Engel kümmern.
Schlaflabor
Schlaflabor
Schlaflabor / Mama macht alles mit, damit es für dich einfacher wird.
Er brauchte mich, denn die Mama war und ist mit die beste Therapeutin und Ärztin für ein Kind.
Die nächsten Wochen und Monate gestalteten sich ähnlich. Es war ein Jahr vollgepackt mit Therapien, Fahrten nach Tübingen, Schlaflabors und den Alltag bewältigen.
Wir wussten auch, dass bald der Tag kommen wird, an dem die erste OP ansteht, allerdings erst wenn der Unterkiefer weit genug nach vorne geholt wurde, um eine Atmung nach der OP zu gewährleisten.
Ramils große "Baustellen" in der ersten Zeit
ESSEN
Das Trinktraining lief die ersten Monate sehr beschwerlich.
Wir machten nur sehr, sehr langsam Fortschritte. Wir probierten alle möglichen Dinge aus, um ihm das Essen zu ermöglichen. Am Ende blieben wir bei Fingernuckeln und Milch über die Spritze seitlich zuführen. Das Fingerfeeding. Schoppen verweigerte er in jeglicher Form.
Ein Tag vor der OP dann der Wandel. Er fing an zu essen bzw. zu trinken und das eine richtig gute Menge.
Kurzerhand beschlossen wir die OP abzusagen und noch eine Weile mit der nasalen Sonde auszukommen und weiter an dem Fortschritt zu arbeiten. Und es wurde besser.
Platten
Nachdem die Plattensuche erstmal beendet war, hat er die erste Zeit ausschließlich mit der Spornplatte verbracht.
Diese wurde je nach Wachstum und Zähnen immer wieder angepasst oder komplett erneuert.
Nach jeder Anpassung folgte ein Schlaflabor.
Nach einiger Zeit fügte man der Platte therapeutische Mittel hinzu. Bei Ramil waren es so eine Art Rillen hinter den Zähnen. Diese sollten der Zunge helfen an den richtigen Platz zu kommen.
Nach einer langen Zeit wagten wir den ersten Versuch eine Platte ohne Sporn zu versuchen.
Nach einer gewissen Umstellungzeit hat dies auch sehr gut funktioniert. Ersmal nur für den Tag.
Aber Ramil machte sich sehr gut und die OP rückte näher.
Hierzu mehr in "die erste OP"
Hören
Wenn ich ehrlich bin, wollten wir am Anfang nicht wahrhaben, dass Ramil nicht hören kann.
Er reagierte so gut aber die Testergebnisse sprachen etwas anderes.
Der erste Versuch mit BAHA lehnte Ramil ab.
Dann haben wir versucht mit einem Stirnband mit Bruckhoff weiterzukommen. Für die haben wir uns auch erstmal entschieden.
Allerdings mussten wir schnell feststellen, dass es für Ramil zu viel war.
Mund, Gesicht und noch Hörgeräte war ihm zu viel.
Somit entschieden wir uns zunächst Atmen und Essen in den Vordergrund zu stellen und wenn das sichergestellt ist das Hören in Angriff zu nehmen.
Mit knapp 4 Jahren fanden wir dann seine derzeitgen Hörgeräte, die Ponto Plus. Er hatte sie sofort angenommen und wollte sie nicht mehr ablegen. Wir wussten es hat sich gelohnt zu warten, bis er bereit dazu war.
Allerdings ist er nun sehr unzufrieden und wünscht sich ein Implantat. Derzeit warten wir auf die Freigabe. Wenn es soweit ist werden wir in "die vierte OP" darüber berichten.