2.3.2009
Wir gingen abends ins Bett. Ich schlief ein. Alles war ruhig. Nach einiger Zeit konnte ich nicht mehr schlafen, vor Schmerzen. Ich dachte mir ein wenig TV schauen, dann schlaf ich wieder ein.
Ich versuchte es, doch die Schmerzen wurden schlimmer. Um 3 Uhr weckte ich Ihn und wir packten langsam unsere Sachen. In der Klinik begann ein Wehenmarathon über den ganzen Tag. Wir frühstückten mit Wehen, wir liefen durchs Krankenhaus, waren baden, bis wir in den Kreissaal kamen. Mittags war der Stand des Muttermundes bei 4cm.
Weitere 6 Stunden später immer noch 4 cm.
Und dann
Plötzlich
Ging alles rasend schnell. Für mich heute immer noch enorm verschwommen. Ich weiß noch, dass die Ärztin kam, mich untersuchte, mir sagte dass die Herztöne vom Kind rapide abgesunken sind und wir sofort einen Kaiserschnitt machen müssen.
Geburtsstillstand
SCHOCK
Notkaiserschnitt
Bis dato habe ich keinen einzigen Moment daran gedacht. Nicht im Ansatz habe ich mir nur Gedanken darüber gemacht, dass ich einen Kaiserschnitt bekommen könnte. Ich wollte nach der Geburt nach Hause mit meinem Kind, so schnell es geht und die weitere Versorgung von meiner Hebamme bekommen. Ich fing an zu heulen. 16 Stunden Wehen, meine Nerven lagen blank. Der Narkosearzt klärte mich auf dem Weg in den OP noch schnell auf. Ich verstand kein einziges Wort von dem was er sagte. Ich kritzelte ihm irgendwas auf sein Blatt, glaube ich, und zack lag ich im OP. Ich kann mich nur noch an die Spritze erinnern, die der Typ hinter mir, unter Wehen gesetzt hat. Ich hätte ihn erschlagen können für sein: „Halten sie ruhig“. Halt du mal ruhig wenn du da mit Presswehen sitzen musst und nicht pressen kannst, darfst, was auch immer. Zack waren die Schmerzen weg und es ging los.
Alles noch so vernebelt.
Ich bekomme Gänsehaut
Der erste Schrei. Mit viel Tränen in den Augen konnte ich nur eine kleine Sekunde meinen Sohn sehen.
Seine Stirn. Mehr nicht. Dann ging er weg mit seinem Papa.
Mir wurde schlecht. So unendlich schlecht. Ich bekam etwas und konnte ein paar Minuten die Augen schließen. Ich kam in den Aufwachraum.
Ich wartete und wartete. Keiner kam.
Ich war müde, mir war kalt.
Unendlich kalt.
Es kam immer noch keiner.
Plötzlich standen beide frisch gebackenen Omas an meinem Bett, bevor ich mein Kind selbst in den Armen hatte. Ich konnte ihnen nichts sagen.
Sie gingen los und schauten nach.
Mein Freund kam mit Tränen in den Augen zu mir.
Er nahm meine Hand. Ich fragte ihn was los ist und wo unser Sohn ist.
Er sagte zu mir: Er ist NICHT gesund.
Fragt mich nicht wieso und warum, aber in dem Moment fragte ich ihn nur, ob Herz, Lunge, Magen usw. alles ok ist. Und er antwortete mit Ja. Und ich sagte dann nur, dann ist er gesund, alles andere bekommen wir hin. Ich kann mir bis heute nicht erklären warum ich so reagiert habe, aber das war meine erste Reaktion. Kurz darauf kam die Ärztin. Ebenfalls mit leichten Tränen in den Augen.
Sie sagte mir dasselbe wie mein Freund. Ich fragte sie was er hat. Sie konnte es mir nicht beantworten.
Kurz darauf kam endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit mein Sohn mit der Hebamme.
Mein Fleisch und Blut. Das mir aus dem Leib geholt wurde und ich nicht direkt in meinen Armen halten konnte. Wie ich Kaiserschnitt hasse.
Aber endlich durfte ich ihn den Armen halten. Wir versuchten ihn anzulegen um ihn zu füttern, es klappte nicht. Was wir zu dem Zeitpunkt nicht wussten: es würde auch nicht möglich sein.
Kurzerhand beschlossen wir ein Familienzimmer zu nehmen, es war spät und alle ziemlich erledigt und geschockt.
Wir bekamen unseren Sohn mit aufs Zimmer. Was dann passierte wünsche ich keinem.
Wir sahen, dass unser kleiner Junge anders aussah, aber was mit ihm genau war, wussten wir nicht.
Ich konnte mich immer noch nicht wirklich bewegen, die Narkose hielt länger an als erwartet. Der Papa nahm den Kleinen zu sich und schlief mit ihm ein. Und schon nach kurzer Zeit musste ich erfahren was „Mutterinstinkt“ heißt. Ich hatte meine Augen zu. PLÖTZLICH
spürte ich wie er nicht mehr atmete.
Ich schrie wie am Spies um meinen Freund aufzuwecken. Ich konnte ja verdammt nochmal nicht aufstehen.
Er erschrak, wachte auf. Ich schrie ihn an und sagte er solle was machen. Er drückte den Knopf und stand mit Ramil auf. Ramil wurde leicht blau.
Eine Schwester kam.
Sie packte ihn, Füße hoch, Kopf nach unten und klopfte mehrmals auf den Rücken.
Er begann zu schreien.
Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ein so großer Stein. Und ich musste das alles regungslos mit ansehen.
Die Schwester nahm ihn mit und schloss ihn an den Sauerstoff an. Wir mussten warten bis zum frühen Morgen. Dann wurde er auf die Kinderintensivstation verlegt.
Am nächsten Morgen kam der Arzt und Ramil wurde mit dem Krankenwagen verlegt auf die Kinderintensiv. Wieder etwas, womit ich mich so überhaupt nicht auseinandergesetzt habe.
Mein Onkel, er ist OP Helfer in diesem Krankenhaus, kam nachdem er erfuhr das wir da waren direkt zu uns um uns Mut zu machen. Um uns ein klein wenig Rat zu geben in den Stunden der Ungewissheit.
Ein paar Stunden später wurde ich auch verlegt.
Der erste Gang als Eltern in die Intensivstation.
Schrecklich, Schrecklich, Schrecklich.
Wir kamen in der Klinik an, das erste was ich wollte: auf die Station zu meinem Kind. Aber der Weg dorthin kam mir vor wie ein ewiges Labyrinth. Ein Labyrinth von Schildern mit „Betreten verboten“ „bitte klingeln“ „Desinfizieren“ „Besuchszeiten“ und vor allem „Bin ich hier richtig“, ich / wir sind doch die Eltern und wollen doch einfach nur zu unserem Kind. Wir kamen uns vor wie Ausgeschlossene, die nicht zu ihm dürfen.
Wir kamen an. Er lag angeschlossen an den „tausend“ Kabeln und Schläuche. Und ich muss ehrlich sagen, sie machten mir am wenigsten aus, denn sie zeigten mir: er ist da, er lebt, er atmet und sein Herz schlägt.
Das erste Bild von der Kinderintensiv in Aalen
Ramil auf der Brust von seinem Daddy, so konnte er liegen und trotzdem Luft bekommen
Ramil mit seinem Teddy von seinem Daddy
DIESER MONITOR. Er wurde ein Begleiter unseres Tages und wir mussten lernen nicht ständig auf ihn zu schauen.
Der erste Schock setzte sich ganz langsam. Wir konnten unseren Sohn berühren, auf die Brust legen, riechen und küssen. Endlich kam auch mal ein Arzt und sprach mit uns. Er äußerte die Vermutung, dass unser Sohn das Pierre Robin Syndrom haben könnte. Er sich aber aufgrund der Augen und der Wangenknochen hierbei nicht sicher ist. Im gleichen Zuge sagte er, dass er eine Ärztin in Tübingen kennt. Diese Ärztin wäre auf „solche“ Kinder spezialisiert und könnte uns mit Sicherheit helfen. Allerdings war dort derzeit kein Bett frei. Wir mussten eine Woche warten bis er verlegt werden konnte.
EINE Woche…. Ihr könnt euch nicht vorstellen wie lange sich eine verdammte Woche anfühlen kann wenn man warten muss, um die richtige Hilfe für sein Kind zu bekommen. Dass das Wort "Warten" bald einen großen Teil unseres Lebens einnehmen würde war uns zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst.
Am ersten Tag in der Klinik angekommen, saßen wir beim Essen in der Kantine. Der erste kurze Moment, um die letzten Stunden zu verdauen. Freunde, Familie, alle warteten auf Rückmeldung. Aber ich konnte nicht. Wir informierten alle kurz und knapp mit der Nachricht, dass unser Sohn Ramil geboren wurde, wir nicht wissen was mit ihm ist, wir derzeit keinen Besuch möchten und uns melden wenn wir können. Unsere Freunde brachten so großes Verständnis dafür auf, dass ich heute noch dankbar dafür bin.
Wegen dem Kaiserschnitt wurde ich auf der Frauenstation aufgenommen. Allerdings kam ich mir dort vor wie eine Nummer und nicht wie ein Mensch. Ich wollte Eis, mir wurden Schmerzmittel geboten. Ich wollte keine. So ging es weiter. Ich war bereits über einen Tag dort, kein Arzt kam und schaute nach der Naht oder sonst etwas. Ich lag mit einer um 15 Jahre älteren Frau im Zimmer, die ihr 4tes Kind bekam, welches mit Down Syndrom geboren wurde und sie noch nicht einmal bei Ihrem Kind war. Ich versuchte Ihr Mut zu machen, dass Ihre anderen Kinder den Kleinen sicher nicht ausgrenzen, wenn Sie es nicht tut und das Kind sie braucht. Am nächsten Tag war sie mit all ihren Kinder unten. Und ich: ich habe am dritten Tag zu den Ärzten gesagt, entweder sie entlassen mich oder ich mache es. Zuhause werde ich besser versorgt wie im Krankenhaus.
Ab da war ich Zuhause. Zuhause konnte ich ein wenig Schlaf sammeln. Denn ich lernte schnell, nur wenn ich ein wenig geschlafen habe kann ich für mein Kind Kraft aufbringen.
Mein Sohn konnte nicht gestillt werden. Er konnte weder saugen noch nuckeln. Somit pumpte ich alle 3 Stunden ab. Ich wollte ihm wenigstens das geben.
Mein Tag drehte sich im Kreis: bei ihm sein, Informationen sammeln, abpumpen, wieder bei ihm sein. Heim fahren, dort abpumpen, alles sauber halten, kurz schlafen, abpumpen, morgens aufstehen, anziehen, abpumpen, zu ihm fahren, den Tag dort verbringen. Usw.
Es war glaube ich am 4 oder 5 Tag, wir mussten wegen Visite aus dem Zimmer. Es gab einen Elternvorraum oder wie man auch diesen kleinen Bunker nennen mag.
Wir trafen auf Eltern. Sie waren nicht arg viel älter wie wir. Sie standen da. Wir kamen ins Gespräch. Ich muss ehrlich sagen so schrecklich es ist, aber auf den Intensivstationen kam man mit allen Eltern meist direkt in Kontakt, denn jeder wusste irgendwie, man teilt ein kleines Schicksal.
Und so kamen wir mit den Eltern ins Gespräch. Ein Gespräch, das mich wieder erneut anders auf das Leben blicken ließ.
Sie fragten uns, warum wir denn hier sind. Wir erzählten unsere kleine kurze Geschichte.
Dann fragten wir dasselbe. Ich musste schlucken, mit welch einer Fassung sie uns erzählten, dass sie gerade darauf warten dass ihre Tochter stirbt.
Dieses Gespräch werde ich niemals in meinem Leben vergessen. Sie erzählten mir, dass sie bereits zum 3. Mal seit Weihnachten da sind (es war Anfang März) An Weihnachten, der erste Anfall. Klinik, keine Hoffnung nochmal nach Hause zu gehen. Epilepsie der unheilbaren Form. Fragt mich jetzt nicht was genau. Ich bin so ein Mensch, ich kann mir trotz den ganzen Krankenhausgesprächen und Fachgesprächen solche Dinge nicht merken. Vielleicht will mein Kopf das einfach auch nicht. Denn eine Mutter und ein Vater erzählten mir in dem Moment, dass sie schon so oft gedacht haben ihr Kind zu verlieren und in dem Moment darauf warteten. Und das mit einer Fassung, dass ich es bis heute noch nicht realisieren kann. Sie gaben ihr noch ein paar Tage, maximal. In dem Moment war ich unglaublich traurig und dankbar zugleich. Ich hatte ein Kind, es war nicht gesund, es durfte aber leben. Ihr Kind aber nicht. Und dann gibt es noch so viele Menschen die nicht glücklich sind obwohl sie gesunde Kinder haben und selbst gesund sind. Ich verstand das Leben nicht mehr.
Die weiteren Tage verliefen meist gleich.
Endlich kam der Tag an dem wir nach Tübingen durften.
Ramil wurde bereitgemacht und mit dem Krankenwagen 2 Stunden hin transportiert.
Wir packten unsere Koffer und fuhren ebenfalls nach.
Unterkunft für Mama und Papa: ihr glaubt nicht was das alles für Herausforderungen waren und welche Kosten da auf einen zukommen.
(Ach ja, kurz vor der Geburt bekam mein Freund die Kündigung in die Hand, wenn Etwas passiert dann gleich alles auf einmal, ihr versteht. Aber diese Sorge arbeiteten wir nebenher ab.)
Ich muss ehrlich sagen, so schlecht es finanziell in der Hinsicht ist, wenn man entlassen wird und ein Kind bekommt, für Ramil war es das aller Beste, dass sowohl Mama und Daddy da sein konnten. Ja Arbeit ist wichtig, aber die Gesundheit der Kinder auch.
Wir fuhren nach Tübingen, ich war noch nie dort. Aber das wird nicht die einzige Stadt sein die ich kennenlernen durfte, seit der Geburt von Ramil.